Der Klinikarzt 2019; 48(08/09): 313-314
DOI: 10.1055/a-0973-4851
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die 7 Plagen

Matthias Leschke
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Publication Date:
19 September 2019 (online)

Ich hatte einen Traum. Glasklar wie ein Film von Spielberg. Seitdem verfolgen mich die Bilder dieses nächtlichen Abenteuers. Ulkigerweise wirbelt da als Hauptakteur nicht Apostel Johannes durch den Traum, sondern ein ägyptischer Pharao. Die Dramaturgie eines Albtraums nimmt wenig Rücksicht auf historische Authentizität. Dieser blutrünstige Herrscher trägt eindeutig die Gesichtszüge unseres Gesundheitsministers Jens Spahns. Jedenfalls wirbelt er nur so durch seinen Palast und scheucht seine Bediensteten gnadenlos von Gesetzesentwürfen für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation über eine generelle Impfverpflichtung bis zu Anwerbungskampagnen medizinischer Dienstleister in Osteuropa. Und just in diesen Wirrwarr der Erlasse platzt die Prophezeihung der 7 Plagen. Dem Pharao wird schwindlig ob dieser geballten Zukunftsaufgaben.

Die erste Plage, die dem Pharao ins Haus steht, nennt sich Health Literacy und meint die Fähigkeit des Bürgers, zuverlässige Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und zu bewerten. Der Pharao beklagt sogleich die eingeschränkte Gesundheitskompetenz mindestens der Hälfte seiner Untertanen, die nicht in der Lage seien, selbst einzuschätzen, was sie gesund erhält oder im Krankheitsfall wieder rasch zu Kräften bringt. Und dabei die Ressourcen des maladen Gesundheitssystems zu schonen. Trotz enormer Aktivitäten verschiedener Partner mit ihren Hotlines, Workshops und Apps zweifelt unser Pharao, dass da Legionen mündiger Bürger heranwachsen, die ihren Ärzten gehorchen.

Die zweite Plage, vor der es dem Pharao graust, ist der Plan, unzähligen Zwergkliniken in der Provinz den Garaus zu machen. Hört sich eigentlich vernünftig an, denn wozu brauchen wir die kleinen Häuser, die kein MRT haben, kein Herzkatheterlabor und die im Jahr nur 2 Pankreas-OPs wagen? Dort gibt es keine Kompetenz. Das kranke Volk müsse sich halt in die medizinischen Zentren in den Citys begeben. Dem Pharao ist schon klar, dass man da eine Menge Geld sparen könne. Für umsetzbar hält er die Idee nicht. Wer auf dem Land wohnt, reist ungern in die Stadt zum Großklinikum. Und jeder Landrat votiert für seine eigene Kleinklinik mit 60 Betten.

Ja, und dann die dritte Plage: Medizin wird immer komplexer und damit kostspieliger. Logisch wäre es, dass jede Klinik nicht alles anbieten muss. Kooperationen sind das Gebot der Stunde. Jedoch: Jedes Haus muss schwarze Zahlen schreiben. Wer verzichtet schon auf lukrative Einnahmen, und da muss man halt sein Angebot erweitern. Konkurrenz ist allemal besser als Kooperation.

Die vierte Plage macht die Gesundheitsfürsorge der Zukunft zu einer Quadratur des Kreises. Das Volk wird immer älter und morbider. Multimorbid. Ohne freilich zu sterben. Mit 80 Jahren werden einem noch neue Herzklappen erfolgreich verpasst. Nur, wer soll das bezahlen? Geriatrie ist teuer. Die DRGs bilden selten die Honorierung komplexer Behandlungen ab. Und der MdK orientiert sich an diesen Pauschalhonoraren.

Die fünfte Plage geht ans Eingemachte. Woher das medizinische Personal nehmen, das gebraucht wird? Des Pharaos werbende Reisen in den Osten, um Pflegepersonal anzuheuern, begeistert das Volk! Unser Herrscher tut was, flüstert man sich auf der Straße zu. Doch ob das funktioniert? Immerhin nimmt man denen im Osten Arbeitskräfte weg, die sie selbst dringend brauchen. Der Pharao hat eine exzellente Idee: Warum Schwestern und Ärzte mit 65 in Rente schicken? Die könnten noch lange Dienst schieben. Personalengpässe durch längere Beschäftigung der medizinischen Mitarbeiter zu lösen, bringt neben Vorteilen auch Nachteile mit sich. Erfahrung auf der einen Seite, altersbedingte Risiken auf der anderen wie sinkende körperliche Leistungs- und Lernfähigkeit, Flexibilität und Innovationskraft. Und ältere Mitarbeiter kommen teuer.

Die sechste Plage schiebt der Pharao auf die Folgen der Globalisierung. Plötzlich werden Arzneimittel knapp, besonders OTC-Präparate, an denen nicht viel zu verdienen ist. Die werden in Indien produziert und das kann dauern, bis die Packungen in unser Land kommen. Aber auch Impfstoffe werden oft knapp. Da ist man ziemlich hilflos, national gesehen. Gegen die Pharmaindustrie kommt man nicht an, nicht einmal ein Pharao.

Die siebte Plage hat atemraubende Folgen. Maßgeschneiderte Medizin kann Arzneimittel bereitstellen, die seltenste Krebserkrankungen zu heilen imstande sind. Den Pharao graust es, wenn er daran denkt, wer das dann mal bezahlen soll. Einerseits begeistert es schon, dass mit dem Medikament Luxturna eine erbliche Form der Blindheit mit einer Behandlung geheilt werden kann. Dass Blinde wieder sehen, hat aber seinen Preis: 850 000 $ pro Patient. Überhaupt sind die Preise für Krebsmedikamente utopisch. Eine Monatsration für 15 000 € erscheint da ganz normal. Novartis will für sein Medikament Kymriah 459 000 $. Das Mittel ist zugelassen und wird von den Kassen bezahlt. Die Frage ist nur, wie lange die Kassen das durchhalten. Und damit wären wir beim größten Problem künftiger Gesundheitsversorgung: Wie wird diese morgen aussehen? Kriegt jeder, dem z. B. Kymriah das Leben wieder lebenswert macht, diese Chance? Wir wollen Solidarität, aber wenn sie keiner bezahlt, müssen wir die Kosten der Solidarität den Verhältnissen anpassen.

Ich muss sagen, was ich da geträumt habe, ist ein wahrer Albtraum. Dass da Pharao Spahn unruhig herumturnt, versteht sich. Warten wir mal ab, ob die 7 Plagen an uns vorbeiziehen.