Kinder- und Jugendmedizin 2020; 20(01): 39-45
DOI: 10.1055/a-0971-5997
Übersichtsarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Statistische Analyse des Neugeborenenscreenings

Statistical analysis of newborn screening
Marc Kastner
1   Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften, Technische Hochschule Köln
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Publication Date:
24 February 2020 (online)

ZUSAMMENFASSUNG

In Deutschland werden im Neugeborenenscreening praktisch alle Neugeborenen auf lebensbedrohliche Stoffwechseldefekte und endokrine Störungen getestet. Nur etwa eines von 1 000 Neugeborenen hat tatsächlich eine dieser angeborenen Krankheiten. Die Wahrscheinlichkeit für einen auffälligen Befund ist mit ungefähr 0,6 % ebenfalls gering, jedoch 6-mal so hoch wie die tatsächliche Erkrankungsrate. Der Bluttest zur Entdeckung der Zielkrankheiten hat mit mehr als 99% richtig-negativen Ergebnissen eine sehr hohe Spezifität. Die Sensitivität für ein richtig-positives Ergebnis ist nicht bekannt, da die Anzahl der im Screening übersehenen Erkrankten nicht systematisch erfasst wird. Die statistische Analyse mithilfe des Bayes-Theorems zeigt, dass ein falsch-positives Testergebnis bei vielen gesunden Neugeborenen zu einer hohen Fehlerquote führt. Der positive Vorhersagewert ist – trotz hoher Sensitivität und sehr hoher Spezifität des Tests – mit circa 15 % nur gering. Ein positiver Testbefund ist deshalb mit großer Vorsicht zu betrachten. Der statistischen Fehlerquote stehen die hohen medizinischen Erfolge und wertvollen Heilungschancen für die tatsächlich an einer angeborenen Stoffwechsel- oder Hormonstörung erkrankten Neugeborenen gegenüber. Dieser Nutzen wiegt sehr viel schwerer und rechtfertigt das bevölkerungsdeckende Screening aller Neugeborenen. Der negative Vorhersagewert ist mit über 99,99 % äußerst hoch. Ein negativer Testbefund bedeutet für das Neugeborene und seine Angehörigen also praktisch Gewissheit, dass keine angeborene Stoffwechselstörung vorliegt. Eine statistische Analyse des Neugeborenenscreenings gibt den Betroffenen eine nützliche Entscheidungshilfe, die Risikosituation besser zu verstehen und kompetenter mit ihr umzugehen.

ABSTRACT

In Germany, virtually all newborns are screened for life-threatening metabolic and endocrine disorders. Only about one in every 1,000 newborns actually has one of these congenital diseases. The probability of an abnormal finding is also low at about 0.6 %, but six times as high as the actual disease rate. The blood test for the detection of the target diseases has a very high specificity more than 99 % correct negative results. The sensitivity for a correct-positive result is not known, since the number of patients overlooked in the screening has not yet been systematically recorded. Statistical analysis using the Bayes theorem shows that a false-positive test result leads to a high error rate in many healthy newborns. The positive predictive value is – despite high sensitivity and very high specificity of the test – only low with about 15 %. A positive test result should therefore be viewed with great caution. The statistical error rate is offset by the high medical successes and valuable healing chances for newborns who actually suffer from a congenital metabolic or hormonal disorder. This benefit weighs much more heavily and justifies the population-covering screening of all newborns. The negative predictive value of over 99.99 % is extremely high. A negative test result means for the newborn and its relatives practically certainty that there is no congenital metabolic disorder. A statistical analysis of the newborn screening provides those affected with a useful decision-making aid to better understand the risk situation and to deal with it more competently.