Adipositas - Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 2019; 13(03): 114-115
DOI: 10.1055/a-0917-9012
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kongressausgabe zur 35. Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e. V. (DAG)

Anja Bosy-Westphal
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Publication Date:
04 September 2019 (online)

Liebe Mitglieder der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, liebe Kongressteilnehmer, die 35. Jahrestagung der DAG findet in meiner Heimatstadt Kiel statt und steht unter dem Motto „Zucker bei die Fische“. Dieses Leitthema greift die aktuelle Debatte um den hohen Zuckerverzehr auf und rückt das Thema Ernährung in den Fokus der Ursachen von Adipositas. Die Erforschung der Auswirkungen des Konsums von Zucker auf die Regulation der Energiebilanz zeigt, dass ein hoher Verzehr – insbesondere von zuckerreichen Getränken – eine zu hohe Energieaufnahme und damit die Entstehung von Übergewicht und Adipositas fördert. Auf der anderen Seite sind die gesundheitlichen Auswirkungen eines hohen Zuckerkonsums auf den Stoffwechsel vor allem bei einer positiven Energiebilanz nachweisbar. Übergewicht verstärkt daher die negativen Auswirkungen des hohen Zuckerverzehrs. Diese Ergebnisse liefern Evidenz für die Forderung nach einer Reduktion des Zuckerverzehrs.

Tatsächlich ist aber das Problem des hohen Zuckerverzehrs nur anteilig ein eigentliches Ernährungsproblem. Heute hat sich mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, Voraussetzungen zur Förderung eines gesunden Lebensstils zu schaffen. Auch Lebensmittelindustrie und Politik tragen Verantwortung dafür, den Konsum von Zucker zu reduzieren. Veränderungen der Rezeptur und Kennzeichnung von Lebensmitteln, Qualitätsstandards für Gemeinschaftsverpflegung und Strategien zur Einschränkung der Verfügbarkeit von zuckerreichen Lebensmitteln werden heute viel diskutiert. Ein leidenschaftliches Plädoyer für Verhältnisprävention liefert der erste Beitrag dieser Kongressausgabe von Manfred J. Müller aus Kiel: „Jetzt ist der Mensch noch nicht jener Mensch“ – Nachdenken über eine Verhältnisprävention der Adipositas (S.118). Im anschließenden Artikel geht es um Lebensmittelkennzeichnung als wichtige verhältnispräventive Maßnahme, die mehr Transparenz für die Verbraucher schaffen und eine bewusstere und gesündere Entscheidung beim Lebensmittelkauf ermöglichen soll. Christina Holzapfel aus München diskutiert das Potential der Lebensmittelkennzeichnung für eine Veränderung des Kaufverhaltens, Ernährungsverhaltens und die Reformulierung von Lebensmittelrezepturen (S.127). Dieses kann dabei helfen, längst fällige politische Entscheidungen zur Lebensmittelkennzeichnung zu unterstützen.

Weitere Beiträge der Kongressausgabe widmen sich anderen Themen der Adipositasforschung. In ihrem Artikel über Verhalten, psychologische und sozialen Faktoren auf Gewichtsstabilisierung nach Gewichtsreduktion beschreibt Martina de Zwaan aus Hannover, dass die Rate der erfolgreichen Langzeitabnehmer in der Allgemeinbevölkerung vermutlich höher ist, als unter Teilnehmern an Gewichtsreduktionsprogrammen und dass eine Stabilisierung eines 10%igen Gewichtsverlusts über ein Jahr von fast 30 % der Menschen mit Adipositas im Selbstbericht erreicht werden konnte (S.133). Diese Ergebnisse deuten nicht nur auf wichtige Determinanten des Langzeiterfolges hin, sie lassen auch vermuten, dass der Erfolg von konservativen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion durch Studien unterschätzt werden könnte und sind ein Beleg für die positivere Wahrnehmung des Therapieerfolges der im Bereich der Adipositasbehandlung arbeitenden niedergelassenen Therapeuten.

Die Körperhöhe ist eine wichtige Größe zur Normalisierung des Körpergewichts und der Körperzusammensetzung. Der Beitrag über Genetik der Körperhöhe von Michael Hermanussen et al. aus Kiel zeigt, dass neben genetischen Determinanten auch soziale und kulturelle Einflüsse die Körperhöhe bestimmen (S.139). Diese phänotypische Plastizität des menschlichen Wachstums erklärt die Diskrepanz zwischen der konventionellen mathematischen Berechnung der Heritabilität der Körpergröße und modernen Schätzungen auf Basis genomweiter Assoziationsstudien.

Eine moderne Vision der Prävention und Therapie von Adipositas durch eine Personalisierung der Ernährung wird von Torsten Schröder und Christian Sina aus Lübeck entwickelt. Der Beitrag basiert vor allem auf Studien, die einen Einfluss des Mikrobioms auf die Beziehung zwischen Ernährung und Blutzuckerregulation nahelegen (S.145). Für individualisierte Ernährungsempfehlungen zur Körpergewichtsregulation könnten darüber hinaus metabolische Phänotypen, die durch eine unterschiedliche Beeinträchtigung des Glukosestoffwechsels gekennzeichnet sind, eine Rolle spielen. Letzteres wird auf der Tagung durch den Plenarvortrag von Arne Astrup thematisiert.

So vielfältig wie die Beiträge in dieser Kongressausgabe der Zeitschrift Adipositas sind auch die diesjährigen Themen aus Wissenschaft und Praxis bei unserer Jahrestagung. Sie spiegeln die interdisziplinären und innovativen Ansätze in der Prävention und Therapie der Adipositas wider und sind durch die aktive Mitgestaltung von AGA, BDEM, VDOE und dem Jungen Netzwerk zusammengestellt worden, für die ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanke. Darüber hinaus habe ich bei der Vorbereitung der Tagung wichtige Unterstützung von der Agentur event lab erhalten, für die ich sehr dankbar bin. Ein besonderer Dank gilt meinem Mentor und Freund Manfred J. Müller, der mir stets mit Hilfe und Rat zur Seite gestanden hat und mit dem ich gemeinsam die 35. Jahrestagung der DAG organisieren durfte.

Prof. Dr. oec. troph. Dr. med. Anja Bosy-Westphal
Tagungspräsidentin der 35. Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) 2019