Der Nuklearmediziner 2019; 42(02): 95-96
DOI: 10.1055/a-0838-8018
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Künstliche Intelligenz in der Bildgebung

Artifical Intelligence in Medical Imaging
Vikas Prasad
Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Ulm, Ulm
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Publication Date:
22 July 2019 (online)

„Derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am nächsten.“ Johann Wolfgang von Goethe

Der Übergang von normalen Zellen/normalem Gewebe oder Organen/Organsystemen zu pathologischen Erkrankungen ist ein mehrjähriger, vielschichtiger Prozess. Durch stetige, bahnbrechende Forschung in den letzten 100 Jahren hat die Medizinwissenschaft endlich den Denkfehler der eindimensionalen Herangehensweise an Krankheiten erkannt. Jedem ist jetzt klar geworden, dass nur durch einen interdisziplinären Ansatz, welcher die Biologie sowie andere Bereiche der Wissenschaft wie Physik, Chemie und Mathematik miteinander verbindet, die Abkehr von palliativen hin zu heilenden und präventiven Behandlungen möglich ist. Parallel dazu hat die Entschlüsselung des menschlichen Genoms enorm dazu beigetragen, die Wissenschaft zu vertiefen. Gleichzeitig ist die Verwendung radioaktiv markierter Tracer in Neurologie und Onkologie integraler Bestandteil der klinischen Behandlung geworden. Neue Bildgebungsverfahren z. B. Ganzkörper-PET/CT wie Explorer ergänzen das bereits umfangreiche diagnostische Instrumentarium aus Technologien wie PET/CT, PET/MRT, optischer Bildgebung etc. [1]. Darüber hinaus sind die neuen serumbasierten Surrogatmarker wie NETest auf dem Vormarsch, um hochmoderne Bildgebungs-Tools zu ergänzen und Krankheiten mindestens ein Jahr vor der Diagnose per PET/CT oder PET/MRT zu erkennen und zu prognostizieren [2] [3].

Dieser Überfluss an Informationen hat den Bereich der Medizin allerdings auch mit der Herausforderung einer erfolgreichen Interpretation der Daten und einer rechtzeitigen Interjektion in den Behandlungsalgorithmus konfrontiert – und zwar ohne jegliche subjektive und wirtschaftliche Vorbehalte. Dieses Problem wird durch einen Mangel an Experten verschärft, die zu einer derartigen Interpretation in einem interdisziplinären Umfeld ausgebildet sind. Durch die drei bereits erwähnten Herausforderungen (Interpretation, Interjektion und Arbeitskräfte) besteht ein dringlicher, nicht erfüllter Bedarf, maschinelles Lernen in die Medizin einzubinden. Es ist kein Wunder, dass es in den vergangenen fünf Jahren in der Präzisionsmedizin, angetrieben durch Software zum maschinellen Lernen, zu einem enormen Wachstum gekommen ist. Zusätzlich gefördert wird dies durch den exponentiellen Trend der Anzahl von Veröffentlichungen zum maschinellen Lernen und maschineller Bildgebung auf pubmed.com ([Abb. 1]). Erweitert man diese Suche auf maschinelles Lernen in Verbindung mit Radiomics sowie maschinelles Lernen mit PET, wird deutlich, dass dieser Trend, auch wenn er in den letzten Jahren positiv war, nicht so stark ist, wie angenommen.

Für diesen „Wachstumsrückstand“ in der Integration von PET und Radiomics im maschinellen Lernen kann es verschiedene Gründe geben. Zu den Hauptgründen zählen: a) Wir wissen nicht wirklich, wie aus Bildern gewonnene physikalische Parameter biologisch zu interpretieren sind. b) Die automatische Segmentierung von Bildern, die bei der Texturanalysen entscheidend ist, muss immer noch verfeinert werden, und in der Mehrzahl der Fälle werden relevante Bereiche in PET-Bildern manuell angepasst. c) Es mangelt immer noch an standardisierten PET-Bildgebungsprotokollen, wobei gleichzeitig Unterschiede der PET-Scanner einen Vergleich zwischen Parametern verschiedener Einrichtungen fast unmöglich machen. d) Es mangelt an Daten zur Korrelation von Strukturanalysen mit molekularer Pathologie. e) Die Heterogenität (‚spatial‘ und ‚temporal‘) verändert sich während der normalen und mit dem Therapiedruck zusammenhängenden Tumorentwicklung, was eine Ableitung physikalischer Parameter zu verschiedenen Zeitpunkten der Bildgebung erschwert. f) Der richtige Algorithmus zur Integration von Bildgebungsdaten im maschinellen Lernen muss auch entwickelt werden; und g) Der Mangel an ausreichender Zusammenarbeit zwischen Kompetenzzentren und verschiedenen Fachbereichen (Molekularpathologie, Genetik, Radiologie, Nuklearmedizin, Informatik, Hardware- und Softwareentwicklung, Mathematiker, Biomarker-Experten).

In dieser Sonderausgabe zu Big Data und maschinellem Lernen wird versucht, die Leser mit dem Basiskonzept und der Terminologie vertraut zu machen, und eine Übersicht über die aktuellen Entwicklungen in Künstlicher Intelligenz im klinischen Bereich Onkologie und Neurologie mit PET, CT und MRT bereitzustellen. Anhand der Übersichtsartikel in dieser Sonderausgabe ist absehbar, dass gut geschulte Maschinen zur medizinischen Bildgebung in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu einem Segen für Patienten werden, die an neurologischen Erkrankungen oder Krebs leiden.

„Das Außerordentliche geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege“. Johann Wolfgang von Goethe

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Abb. 1 Zeigt die Anzahl der Veröffentlichungen zu maschinellem Lernen + maschineller Bildgebung, maschinellem Lernen + Radiomics und maschinellem Lernen + PET.
 
  • Literatur

  • 1 Badawi RD, Shi H, Hu P. et al. First Human Imaging Studies with the EXPLORER Total-Body PET Scanner. J Nucl Med 2019; 60: 299-303
  • 2 Malczewska A, Bodei L, Kidd M. et al. Blood mRNA Measurement (NETest) for Neuroendocrine Tumor Diagnosis of Image-Negative Liver Metastatic Disease. J Clin Endocrinol Metab 2019; 104: 867-872
  • 3 Pavel M, Jann H, Prasad V. et al. NET Blood Transcript Analysis Defines the Crossing of the Clinical Rubicon: When Stable Disease Becomes Progressive. Neuroendocrinology 2017; 104: 170-182