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DOI: 10.1055/a-0830-7502
Vom Staunen und Wundern
Publication History
Publication Date:
25 February 2019 (online)
Ein langer Tag – am Ende einer langen Woche – neigt sich dem Ende. Zwölf weitere Arbeitsstunden trennen mich von ein paar freien Tagen und einer wohlverdienten Erholungspause. Aber noch scheint der Nachtdienst lang zu werden. Einige Wöchnerinnen wollen auf meinem letzten Stationsrundgang noch besucht werden, als eine Jungfamilie am Stützpunkt aufschlägt. Sie wären jetzt für eine Gewichtskontrolle da, teilen sie uns mit.
Ich arbeite in einer Privatklinik und bekomme da hin und wieder den Eindruck, dass manche Menschen, die über mehr Geldmittel als der Durchschnittsbürger verfügen, glauben, dass sie sich alles leisten können. Zum Beispiel unangemeldet abends zur Routinekontrolle aufzutauchen und da dann auch erwarten zu können, sofort dran zu kommen. Ich wehre mich bewusst gegen diese Handhabe, so wie ich davon überzeugt bin, dass jeder Mensch das Recht auf die gleiche medizinische Versorgung hat – unabhängig von Einkommen und akademischem Titel. Die Schwester bittet sie im Warteraum Platz zu nehmen, während ich meinen Rundgang beende.
Am Stützpunkt treffe ich eine sichtlich genervte Kollegin. „Ich hab sie jetzt mal im Stillzimmer selber wiegen lassen. Aber sie wollen noch eine Bili-Kontrolle. In den letzten 10 Minuten haben sie zweimal gefragt, ob sie vergessen wurden, jetzt wollen sie gerade gehen.“
Ich treffe die Familie beim Zusammenpacken an, messe bei ihrem rosigen Mädchen den Gelbsuchtwert und lasse mir von nächtlichem Bauchweh und anderen Dingen berichten, die nach ganz normalen Schilderungen einer Jungfamilie klingen. „Ja und 100 g abgenommen haben wir auch“, schließt die Mutter. Ich werde hellhörig. „Wie bitte?“ Zwölf Tage post partum ist das Kind 240 g vom Geburtsgewicht entfernt! Ich bin ein bisschen fassungslos, dass sie bei diesem Gewichtsverlauf wegen 20 Minuten Wartezeit einfach gegangen wären und lasse mir die Stillsituation schildern.
Eine Geschichte, die von verkopften Eltern erzählt, die lieber stundenlang nach Tropfen gegen Bauchweh im Internet googlen, als das abendliche Clusterfeeding als normal hinzunehmen und das Kind einfach ein bisschen länger an der Brust trinken zu lassen. Ich bitte die Mutter, in aller Ruhe hier mit mir anzulegen und schaue dem Kind dabei zu, wie es entspannt an der Brust trinkt und ein paar Mal fast wie erleichtert aufatmet. Ich bespreche mit den Eltern genaue Maßnahmen und gebe ihnen einen Termin in zwei Tagen für die Stillambulanz. Als sie gehen, schaue ich ihnen nachdenklich hinterher und kann mich nur wundern, wie zwei so intelligente, belesene Menschen manchmal so auf der Leitung stehen können.