GGP - Fachzeitschrift für Geriatrische und Gerontologische Pflege 2018; 02(06): 246-247
DOI: 10.1055/a-0675-2404
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vorsorge treffen

Sabine Hindrichs
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Publication Date:
11 December 2018 (online)

Auf der Suche nach dem richtigen Zeitpunkt

Vorsorge treffen für den Fall, dass ich einen Unfall erleiden oder an einer unheilbaren Krankheit erkranken sollte – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber haben Sie es schon getan? Oder denken Sie, dass dazu noch Zeit ist, haben es auf „später“ verschoben? Aber eigentlich müssten gerade wir es besser wissen. Erleben wir in unserem beruflichen Alltag doch immer wieder diese Fälle, die uns ganz besonders nahe gehen, weil es sich um besonders tragische Schicksale oder um Menschen handelt, die in unserem Alter sind oder sogar noch jünger.

In den letzten Wochen tauchte das Thema Vorsorge immer wieder in meinem beruflichen Alltag auf: in Beratungssituationen mit jüngeren Pflegebedürftigen, die sich plötzlich völlig unerwartet in einer neuen Lebenssituation wiederfanden, die für „gesunde Menschen“ eher weit weg ist und andere betrifft.

Wenn wir es nicht müssen, beschäftigen wir uns nicht freiwillig mit Krankheit oder Behinderung – das ist zutiefst menschlich. Trotzdem sollten wir uns Gedanken machen, um im Fall des Falles vorbereitet zu sein. Wir schließen Versicherungen für alles Mögliche ab, sorgen vor für Rente bei voller Gesundheit, aber der Worst Case Krankheit oder gar Pflegebedürftigkeit ist etwas, mit dem wir uns noch nicht beschäftigen müssen – so denken wir. Es kann uns alle jederzeit betreffen. Sind wir dann noch in der Lage, in unserem Interesse zu handeln und zu entscheiden? Aber wann ist der richtige Zeitpunkt zur Vorsorge: mit zwanzig, mit fünfzig, wenn das erste Kind kommt, wenn die eigenen Eltern ins Alter kommen? Diese Entscheidung muss letztlich jeder für sich selbst treffen. Tut er es nicht, muss er dann mit den Entscheidungen, die andere für ihn treffen, leben? In unserer heutigen aufgeklärten und selbstbestimmten Gesellschaft ist dieses Thema oft noch ein großes Tabuthema.

Das Schicksal zweier Frauen hat mich in der letzten Woche zu diesem Thema besonders berührt. Beide Frauen sind Mitte fünfzig, mit Familie, die Kinder aus dem Haus, beruflich erfolgreich und in einer festen Partnerschaft. Die eine ist Fitnesstrainerin und die andere Führungskraft in einem großen Unternehmen, beide stehen fest im Leben. Bei einer Frau die Diagnose Mammakarzinom mit Knochenmetastasen und entsprechenden schweren Folgen auf das Skelett und bei der anderen Frau die Diagnose Demenz (nach zwei Jahren Fehlbehandlung einer Depression) führen zum Ausnahmezustand im Leben dieser beiden Frauen und ihrem sozialen Umfeld. Beide wurden aus ihrem erfolgreichen und erfüllenden Berufsleben herausgerissen und hineingestoßen in Krankheit, in Betroffenheit und Ohnmacht ihres sozialen Umfelds, in Isolation, in Abhängigkeit und letztlich in den sozialen Abstieg wegen Frühberentung. Die Fitnesstrainerin kann keinen Schritt, kaum eine Bewegung mehr ohne die Hilfe ihres Mannes durchführen, ist bei jeder Aktivität auf Hilfe angewiesen, kann ihr Haus nicht mehr verlassen und erlebt eine soziale Isolation, die sie sich weder für sich noch für ihren Mann jemals vorstellen konnte. Die Managerin, die stets korrekte und ordentliche Frau, verliert ihre Sprachfähigkeit, kann die einfachsten Dinge nicht mehr umsetzen, findet Dinge nicht mehr und erkennt phasenweise ihren Mann nicht mehr. Ihr soziales Umfeld lebt in der ständigen Angst, dass sie die Wohnung verlässt und nicht zurückfindet.

Warum berühren mich ausgerechnet diese beiden Frauen so sehr, treffen mich mitten ins Herz, machen mich betroffen und geben mir das Gefühl, etwas für mich regeln zu müssen, damit es einmal nicht andere für mich tun? Ist es, weil es Frauen sind, weil sie in meinem Alter sind, eine ähnliche Lebenssituation haben, noch mal durchstarten wollten nach der Kinderphase – endlich ein unabhängiges selbstbestimmtes Leben?

So haben diese beiden Frauen und ihre Lebenssituation dazu beigetragen, dass ich nun für mich kläre, wie ich Vorsorge treffen kann, um in Krankheit und Alter so zu leben, wie ich es möchte, damit ich nicht andere dazu verurteile, für mich zu entscheiden. Wir sind es unseren Nächsten schuldig, diese Vorsorge zu treffen. Denn in einer solchen nicht geplanten Ausnahmesituation sind nicht nur wir selbst überfordert, sondern vor allem unser soziales Umfeld.

Obwohl ich im Gesundheitswesen tätig bin – oder gerade deshalb? –, fiel mir der erste Schritt ziemlich schwer. Will ich mich damit wirklich auseinandersetzen oder doch noch abwarten bis – ja bis wann? Also habe ich den Kampf mit „Betreuungsvollmacht“, „Vorsorgevollmacht“ und „Patientenverfügung“ aufgenommen, um für mich zu klären, was ich nun wirklich will und wie ich dies am besten formulieren und so festlegen kann, dass meine Angehörigen etwas in der Hand haben, an dem sie sich orientieren können.

Nach intensiver Recherche und viel zu vielen Informationen, bin ich auf das „Vorsorgeregister der Notarkammer“ gestoßen und habe festgestellt, dass hier in übersichtlicher Weise alle erforderlichen Dokumente erstellt werden können und entsprechend – und das scheint mir ein sehr wichtiger Punkt – meine Vollmachten und Verfügungen abrufbar hinterlegt sind. Nachdem ich alle erforderlichen Dokumente bearbeitet hatte und die eine oder andere Fragestellung erst einmal verdauen musste, bin ich nun stolze Besitzerin einer kleinen Karte des Vorsorgeregisters, die ich im gleichen Fach in meinem Portmonnaie wie die Krankenkassenkarte aufbewahre – mit dem sehr guten Gefühl, Vorsorge getroffen zu haben, um so zu leben oder auch zu sterben, wie ich das möchte.

Vielleicht motivieren meine Zeilen auch Sie, sich ein wenig Zeit zu nehmen und Vorsorge zu treffen.

Ihre

Sabine Hindrichs
sabine@hindrichs-pflegeberatung.de