Gesundheitswesen 2019; 81(11): 881-887
DOI: 10.1055/a-0594-2373
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welche Faktoren sind mit Verhaltensauffälligkeiten im Vorschulalter assoziiert? Eine Sekundärdatenanalyse der Schuleingangsuntersuchungen von 2010 bis 2014 in der Region Hannover

Factors Associated with Behavioral Problems in Pre-School Age: Secondary Data Analysis of Routine Examination at School Enrolment 2010/2014 in the Hannover Region
Susanne Bantel
1   Region Hannover, Fachbereich Jugend, Team Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, Hannover
,
Martin Schlaud
2   Robert-Koch-Institut, Abt. für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
,
Ulla Walter
3   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
,
Maren Dreier
3   Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
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Publication History

Publication Date:
02 May 2018 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel Die psychische Gesundheit und die Prävalenz von psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter haben in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen. Zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland gibt es mittlerweile Ergebnisse aus mehreren Studien. Mit der vorliegenden Studie soll untersucht werden, welche Faktoren mit Verhaltensauffälligkeiten im Vorschulalter assoziiert sind. Der Fokus liegt zudem auf der unversorgten Morbidität.

Methodik Die Daten der Schuleingangsuntersuchungen der Einschulungsjahrgänge 2010/11 bis 2014/15 (n=40 675) der Region Hannover wurden ausgewertet. Verhaltensauffälligkeiten und die sozial-emotionalen Kompetenz der Kinder wurde über den Elternfragebogen „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) und durch Beobachtung der Ärztin während der Untersuchung erfasst. Kinder, die sich zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung wegen einer Verhaltensauffälligkeit bereits in Behandlung befanden, wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Mittels einer multivariablen logistischen Regressionsanalyse wurde auf Zusammenhänge zwischen Verhaltensauffälligkeiten und soziodemografischen Faktoren, Dauer des Kindergartenbesuchs, Familienkonstellation und Gestationsalter untersucht.

Ergebnisse Ein geringer Bildungsgrad, errechnet aus dem höchst erreichten Schul- und Berufsabschluss beider Elternteile, ist am stärksten mit einer durch die Schuleingangsuntersuchung festgestellten Verhaltensauffälligkeit assoziiert (OR 2,5; 95%-KI 2,3–2,7). Weitere Faktoren sind männliches Geschlecht (OR 1,5; 95%-KI 1,4–1,6), kein Kindergartenbesuch (OR 1,3; 95%-KI 1,02–1,6) oder der Besuch von nur einem Kindergartenjahr (OR 1,4; 95%-KI 1,2–1,6), familiäre Konstellation ohne leibliche Eltern (OR 1,7; 95%-KI 1,2–2,4), Frühgeburtlichkeit (OR 1,5; 95%-KI 1,2–1,8) und ein Alter von 5 ½ Jahre und jünger (OR 1,4; 95%-KI 1,3–1,6) zum Untersuchungszeitpunkt.

Schlussfolgerung Die Ergebnisse verweisen auf die Wichtigkeit der frühkindlichen Förderung und Unterstützung sozial benachteiligter Familien und deren Kinder. Sie liefern public-health-relevante Ansatzpunkte und ermöglichen der Region Hannover, zukünftige Präventionsmaßnahmen im Vorschulalter zielgruppenspezifischer zu verbessern.

Abstract

Background and aim Mental health and the prevalence of behavioral problems in children and adolescents has been gaining increasing concern in the last years. Several studies have addressed this issue in Germany. The aim of the study presented here is to examine factors associated with behavioral problems in pre-school children with focus on untreated morbidity.

Methods Data from the routine examination at school enrolment from 2010/11 to 2014/15 (n=40,675) in the Hannover region were analyzed. Behavioral problems and socio-emotional competences were assessed by the Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) for parents and by doctors’ observations during examination. Children who had already been treated for behavioral problems at the time of school enrolment were excluded from the study. Using multivariable logistic regression analyses, associations between behavioral problems and sociodemographic factors, duration of kindergarten attendance, family status and gestational age were assessed.

Results Education level of the parents, calculated from both parents’ highest school and professional education level, is the strongest predictor for assessing behavioral problems of children at the time of school enrolment examination (OR 2.5; 95%-CI 2.3–2.7). Further factors are male sex (OR 1.5; 95%-CI 1.4–1.6), no kindergarten attendance (OR 1.3; 95%-CI 1.02–1.6) or kindergarten attendance of only one year (OR 1.4; 95%-CI 1.2–1.6), children living without their biological parents (OR 1.7; 95%-CI 1.2–2.4), preterm births (OR 1.5; 95%-CI 1.2–1.8) and age of 5 ½ years and younger (OR 1.4; 95%-CI 1.3–1.6) at the time of examination.

Conclusion The results point to the importance of early development support for children from socially disadvantaged families. The results highlight public health-relevant points and enable the region Hannover to improve preventive efforts targeting such pre-school children.

 
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