physiopraxis 2017; 15(11/12): 50-51
DOI: 10.1055/s-0043-115370
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Action Research Arm Test (ARAT) – Armfunktionen messen

Cosima Pinkowski

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Publication Date:
24 November 2017 (online)

 

Mit dem ARAT erfassen Therapeuten verschiedene Bewegungsaufgaben von Hand und Arm. Sie können mit dem Assessment Armfunktionen standardisiert beschreiben und Veränderungen dokumentieren.


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Cosima Pinkowski ist Ergotherapeutin und Diplom-Medizinpädagogin. Sie hat in der Neurorehabilitation und in der Forschung zu Themen der Diagnostik und Therapie von Armfunktionsstörungen gearbeitet und ist seit 2002 als Dozentin an der HAWK Hildesheim in den Studiengängen Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie tätig. Außerdem gibt sie Fortbildungen zu neurologischen Assessments.


E-Mail: cosima.pinkowski@hawk-hhg.de

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Abb.: Reha-Stim Medtec GmbH & Co. KG

Mit dem Action Research Arm Test (ARAT) können Therapeuten die unilaterale Armfunktion auf der Ebene der Aktivitäten erfassen, die Bewegungsdurchführung objektiv beurteilen und sogar Vorhersagen treffen [27, 28]. Ronald C. Lyle entwickelte den Test 1981 in Abwandlung des „Upper Extremity Function Test“ von Douglas Carroll [3, 4]. Der ARAT eignet sich für Patienten mit MS, Querschnittlähmung, Tetraplegie, Parkinson und ist nach SHT und Schlaganfall im Einsatz [5–7, 29–31]. Neben der klinischen Anwendung wird er international auch in (Wirksamkeits-)Studien eingesetzt (Spiegeltherapie, CIMT, Robotik u. a.). In der Forschung zur Schlaganfallreha ist er nach dem Fugl-Meyer-Test das zweithäufigste Assessment zur Armfunktion [32]. Der ARAT spielt ebenfalls eine Rolle in der Entwicklung und Validierung von neuen Testverfahren [30, 33].

Testdurchführung

Der ARAT enthält 19 standardisierte, unilaterale Bewegungsaufgaben für Arm und Hand. Die Items sind vier Subtests zugeordnet, die die motorischen Aspekte Greifen, Griff, Präzisionsgriff und grobe Bewegung untersuchen ([TAB. 1]) Bei der Durchführung sitzt der Patient vor einer Art Regal mit diversen Objekten in unterschiedlichen Formen und Gewichten (ABB.). Die Konstruktion ist eine Arbeitsfläche auf Tischhöhe mit einem schmalen Brett circa 35 cm darüber.

TAB. 1

Subtests und Aufgaben des ARAT

Subtest

Was gemacht wird

Greifen (grasp) 6 Aufgaben

Der Patient soll verschiedene Gegenstände (vier unterschiedlich große Holzwürfel, eine Holzkugel, einen Stein) von der Arbeitsfläche ergreifen und auf ein Regalbrett circa 35 cm höher ablegen.

Griff (grip)4 Aufgaben

Der Patient soll Wasser aus einem Becher in einen anderen gießen, zwei unterschiedliche Metallrohre vertikal ergreifen und auf Holzdübel in 30 cm Entfernung stecken sowie eine Unterlegscheibe aufnehmen und über einen senkrechten Bolzen gleiten lassen.

Präzisionsgriff (pinch)6 Aufgaben

Der Patient ergreift mit verschiedenen Präzisionsgriffen verschiedene Gegenstände (Glasmurmel, kleine Kugel) aus einem Tabakdosendeckel und legt die Objekte in einen Tabakdosendeckel auf dem höheren Regalbrett ab.

grobe Bewegung (gross movement) 3 Aufgaben

Der Patient soll bei diesen Aufgaben die Hand hinter den Kopf legen, auf den Kopf legen sowie mit den Fingern den Mund berühren.

Der Patient führt jeden Subtest mit einem Arm durch und wechselt dann zum anderen Arm. Anschließend folgt der nächste Subtest wieder mit dem ersten Arm. Es empfiehlt sich, mit der geringer betroffenen Seite zu beginnen. So sieht man, ob die Aufgabe richtig verstanden wurde. Die Aufgaben der Subtests folgen einer bestimmten Hierarchie: Nach der schwersten Aufgabe folgt jeweils die leichteste. Hat also ein Patient die schwierigste Aufgabe fehlerfrei bewältigt und die volle Punktzahl erhalten, schreibt ihm der Therapeut auch maximale Punkte für die leichteren Aufgaben dieses Subtests auf. Wenn ein Patient sowohl für die schwerste als auch für die leichteste Aufgabe keine Punkte erhält, bewertet der Therapeut die weiteren Aufgaben ebenfalls mit null Punkten, ohne dass der Patient diese demonstriert hat. In allen anderen Fällen führt der Patient alle Items des Subtests durch [3, 5, 7]. Die hierarchische Anordnung führt zu einer kurzen Untersuchungszeit von 8–12 Minuten, denn vor allem sehr leicht, aber auch sehr schwer betroffene Patienten müssen nicht jede Aufgabe ausprobieren. Diese Vorgehensweise wird jedoch von Forschern diskutiert, und es gibt daher eine Modifikation des ARAT, bei der der Patient jede Aufgabe machen soll [9, 10].


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Testauswertung

Der Therapeut bewertet jedes Item anhand einer ordinalen 4-Punkte-Skala. Er beurteilt, ob der Patient die Aufgabe gar nicht, teilweise, vollständig, aber mit Schwierigkeiten bzw. langsam oder normal bewältigt ([TAB. 2]). Für jeden Subtest errechnet er dann pro Extremität die Summe. Es sind maximal 57 Punkte pro Körperseite möglich.

TAB. 2

Auszug aus der Auswertung nach Nuray Yozbatiran und Kollegen [7], übersetzt von C. Pinkowski

Bewertung

Ausführung

3 Punkte

Der Patient führt die Bewegung normal und vollständig in weniger als 5 Sekunden durch. Körperposition und Arm- und Handbewegungskomponenten sind normal.

2 Punkte

Der Patient bewältigt die Aufgabe vollständig. Es sind Schwierigkeiten bei der Körperposition sowie bei den normalen Arm- und Handbewegungskompo-nenten vorhanden, bzw. die Bewegungsdurchführung geschieht langsam: innerhalb einer Toleranzgrenze von 5–60 Sekunden.

1 Punkt

Der Patient kann eine normale oder abnormale Handbewegung initiieren, um den Gegenstand anzuheben. Schubsen mit Handrücken zählt nicht. Die Bewegungsqualität wird nicht bewertet.

0 Punkte

Der Patient kann innerhalb von 60 Sekunden keinen Anteil der Bewegung durchführen.

Normwerte sind bei ordinalen Skalen nicht möglich, die maximale Punktzahl steht für eine „normale“ Durchführung. Für die teilweise Bewältigung, also 1 Punkt, muss der Patient das Objekt mit einem aktiven Griff von der Arbeitsfläche abheben. Eine unvollständige, schwierige oder langsame Ausführung führt immer zu einer Reduktion der Punkte. Der ARAT analysiert aber nicht, ob nun ein Tremor, eine Parese oder das verminderte Bewegungsausmaß die Ursache ist. Der Vorteil dieser eher groben Bewertung liegt darin, dass der Therapeut die Performanz des Patienten leichter beurteilen und das Assessment schnell erlernen kann. Die Gesamtpunktzahl der betroffenen Extremität kann auch der Gruppierung der Patienten je nach Schweregrad dienen [34].

Bezüglich der Testdurchführung und -auswertung gibt es Diskussionen. Ein Team um Johanna H. van der Lee empfiehlt z. B., die Durchführungsdauer stärker zu berücksichtigen [9, 10]. Es möchte nur dann 3 Punkte vergeben, wenn der Patient ein gewisses Zeitlimit einhält. Ähnliches schlagen Nuray Yozbatiran et al. vor und legen fünf Sekunden als Grenze für die volle Punktzahl fest ([TAB. 2]) [7]. International scheint sich das Manual von Yozbatiran et al. durchzusetzen. Es berücksichtigt die Durchführungszeit, enthält Gewichtsangaben für die Objekte und gibt Start- und Zielpositionen an. Darüber hinaus nennen die Forscher die erforderlichen Bewegungskomponenten für die Bewertung mit der maximalen Punktzahl. Carpinella et al. entwickelten eine automatisierte Form des ARAT, um z. B. die Subjektivität in der Anwendung bei Patienten mit MS zu reduzieren [24].


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Gute Gütekriterien

Die Validität und Reliabilität sind umfangreich und mit unterschiedlichen Patienten untersucht worden und zeigen meist gute bis sehr gute Qualität [10, 12–17]. Auch die Sensitivität gegenüber Veränderungen ist gut erforscht [9, 18–20]. Der ARAT ist in der Lage, Vorhersagen zu ADL-Fähigkeiten zu treffen [21, 27]. Allerdings empfiehlt es sich, für Menschen mit sehr eingeschränkter bzw. sehr guter Armfunktion ein weiteres Assessment mit leichteren bzw. schwierigeren Aufgaben einzusetzen [15, 22–24]. Der ARAT wird daher gerne mit dem Fugl-Meyer-Assessment, dem Box and Block Test oder mit apparategestützter Funktionsmessung kombiniert.


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Empfehlenswert

Der ARAT ist international weit verbreitet: Er eignet sich für eine große Zielgruppe und misst ein breites Spektrum an Armfunktionen [32, 35]. Mit ihm lassen sich Veränderungen der Armfunktion gut dokumentieren und Patienten in unterschiedliche Schweregrade eingruppieren [34]. Aus der Menge der möglichen Assessments ragt er mehrfach positiv heraus: zum einen wegen der guten Gütekriterien und zum anderen wegen seiner Praktikabilität [24, 25]. Die Konstruktion des Testmaterials können Therapeuten selbst vornehmen; kommerzielle Anbieter sind im In- und Ausland vorhanden („Zusatzinfos“ online).

In Deutschland ist der Test leider nur mäßig bekannt. Dabei eignet er sich gut für Patienten mit moderaten bis starken Armfunktionsstörungen. Obwohl er kaum Alltagsobjekte nutzt, deutet der Objektgebrauch auf alltagsnahe Aufgaben hin.

Wer den Test anwenden möchte, dem sei das Buch „Assessments in der Rehabilitation – Band 1“ von Schädler et al. [26] empfohlen. Ausführliche Manuale in englischer Sprache, mit Fotos und Bauanleitung gibt es von Yozbatiran et al. [7] und von Platz et al. [11]. Und wer es lieber digital mag, der kann sich eine ARAT-App im Google Play Store herunterladen.

Cosima Pinkowski


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Abb.: Reha-Stim Medtec GmbH & Co. KG