physiopraxis 2015; 13(06): 20-21
DOI: 10.1055/s-0035-1557120
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Der Aufklärer – Urban Daub

Eva Trompetter

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Publication Date:
24 June 2015 (online)

 

Bei einer Amputation wird oft zu spät bedacht, dass sich die Belastung auf die erhaltene Extremität gravierend verändert. Das zieht häufig Gelenkbeschwerden nach sich, die sich durch gelenkschonende Verhaltensregeln reduzieren ließen. Urban Daub und seine Kollegen fanden heraus, dass es wichtig ist, die Patienten darüber aufzuklären.


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Abb.: Fraunhofer IPA, Clemens Hess
Urban Daub ...

... ist 32 Jahre alt und lebt in Stuttgart. 2008 beendete er seine Ausbildung zum Physiotherapeuten an der IB Medizinische Akademie in Stuttgart. Neben diversen Fortbildungen machte er bis 2014 berufsbegleitend seinen Master in Physiotherapie an der Donau Universität Krems. Während des Studiums stieß er auf das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, das sich in einem speziellen Prüfzentrum mit der Orthesen- und Prothesenversorgung befasst. Urban Daub beschloss, dort seine Masterarbeit über die Validität, Reliabilität und Praktikabilität international angewandter Assessments bei Menschen mit Beinamputation zu schreiben. Danach wurde er in der Abteilung für Biomechatronische Systeme übernommen. Dort arbeitet er drei Tage in der Woche in einem Team aus Ingenieuren, Biologen, Sportwissenschaftlern und Informatikern. Seine Themenfelder sind Orthesen- und Prothesenversorgung sowie die Ergonomie am Arbeitsplatz. An den anderen beiden Tagen unterrichtet er an seiner alten Schule. Um den Kontakt zu den Patienten nicht zu verlieren, arbeitet er zudem in einer Praxis. Seine Freizeit verbringt er meist im Freien, etwa beim Fußball mit Freunden. Außerdem verreist er gerne.

Verhaltensempfehlungen für Menschen mit Amputation

Die Erhebung

Verliert ein Patient durch eine Amputation eine Extremität, sind die restlichen Gelenke einer besonderen Belastung ausgesetzt. Durch ein verändertes Bewegungsverhalten erhöht sich der Einfluss von Scherkräften. Beim Kniegelenk etwa konnten Untersuchungen nachweisen, dass auf der nicht betroffenen Seite eines Patienten mit Beinamputation signifikant höhere Belastungen auftreten als bei vergleichbaren gesunden Probanden [1, 2]. Zudem zeigten Studien, dass sich durch diese konstante Überbelastung später vermehrt Arthrosen im Kniegelenk entwickeln [1–6]. Auch Rückenschmerzen sind in diesem Zusammenhang häufig zu finden [7–9]. Verlieren die Patienten durch die Beschwerden zusätzlich an Mobilität, verschlechtert sich ihre Selbstständigkeit oft noch weiter. Einfache präventive Regeln für ein gelenkschonendes Bewegungs- und Alltagsverhalten könnten alldem entgegenwirken.

Aus der Zusammenarbeit mit Prothesenherstellern, Selbsthilfegruppen für Menschen mit Amputation und Probanden im Prüflabor des Fraunhofer-Instituts machten Urban Daub und seine Kollegen die Erfahrung, dass Menschen mit einer Amputation solche Regeln jedoch oft nicht kennen und Therapeuten und Betreuer sie nicht darauf aufmerksam machen. Diese Erfahrung wollten sie in Zahlen belegen und sich zudem einen ersten Eindruck darüber verschaffen, welche Beschwerden bei Menschen mit Amputation auftreten. Für diese Erhebung verteilten die Forscher an zwei aufeinanderfolgenden Jahren (2012 und 2013) auf der Jahresversammlung des Bundesverbands für Menschen mit Arm- oder Beinamputation (BMAB) einen kurzen Fragebogen an die Teilnehmer. Insgesamt konnten sie 32 Fragebögen auswerten. Die befragten Patienten waren durchschnittlich 58 Jahre alt. 13 von ihnen hatten eine Unterschenkel-, 14 eine Oberschenkelamputation, drei Teilnehmer eine Knieexartikulation und eine Person eine Oberarmamputation. Ein Patient machte nur die unspezifische Angabe „Beinamputation“. Alle Eingriffe lagen im Durchschnitt 19 Jahre zurück.


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Zentrale Erkenntnisse

Das Stuttgarter Team fand heraus, dass ...

  • > ein Großteil der Befragten (etwa 80 Prozent) Gelenkbeschwerden wie Knie-, Fuß- und Rückenschmerzen hat.

  • > nur einer der Patienten direkt nach der Amputation Verhaltensregeln erhalten hatte.

  • > der Großteil der Befragten (84 Prozent) auch bei auftretenden Beschwerden von Therapeuten und Ärzten keine Informationen über Verhaltensregeln bekam.

  • > 80 Prozent der Befragten Möglichkeiten gefunden haben, ihre Beschwerden zu lindern. Dazu zählen unter anderem Physiotherapie, Bewegung, Einreibungen und Ruhepausen.


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Fazit

Zusammenfassend können sie sagen, dass ...

  • > alle Menschen nach Amputation Informationen zu Folgeerkrankungen und präventiven Verhaltensregeln erhalten sollten. Dazu wäre es zum Beispiel möglich, einen schriftlichen Handlungsleitfaden zu erstellen und den Patienten mitzugeben.

  • > Therapeuten unter anderem folgende einfache Verhaltensregeln kennen und vermitteln sollten: Die Haut im Stumpfbereich sollte regelmäßig kontrolliert werden, Menschen mit Beinamputation sollten einbeiniges „Herumspringen“ vermeiden. Patienten mit Armamputation sollten schwere Lasten, vor allem über Gürtelniveau, vermeiden, um den erhaltenen Arm nicht zu überlasten.

  • > viele Menschen mit Amputation bereits praktische Tipps zur Gelenkentlastung und Erleichterung bei Schmerzen im Alltag kennen. Diese Erfahrungswerte könnten zusammen mit statistischen und biomechanischen Werten die Basis eines solchen Handlungsleitfadens bilden.

Zur Entwicklung des Leitfadens können Sie und Ihre Patienten das Stuttgarter Team in einem kurzen Onlinefragebogen unter www.amp-leitfaden.de unterstützen. Vielen Dank!


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Abb.: Fraunhofer IPA, Clemens Hess